Frühe elektrifizierte Haushalte
Kennelbach Vorarlberg
F. W. Schindler-Jenny bewohnte in Grünau (heute Sitz des Gemeindeamtes Kennelbach) seit 1890 eine Villa, die als das „Elektrische Haus“ bekannt wurde und in der er die neuesten elektrischen Errungenschaften staunenden Besuchern vorführte. In ganz Vorarlberg sind noch heute zahlreiche Spuren des Schaffens der Familie Schindler zu finden und das Krafthaus Bregenz zeigt zahlreiche frühe Elektrogeräte Marke Elektra.
Einsichten Villa Schindler
Strassburg im Elsass
Der frühe Gebrauch von Heiz- und Kochapparaten ist auch auf Schloss Fröschweiler im Elsass nachgewiesen, wo man bereits 1892 durch eine im Nachbarort Liebfrauenthal zu Fabrikationszwecken errichtete Wasserkraftanlage elektrischen Strom erlangte. Im 3,5 km entfernten Fröschweiler nutzte man die Elektrizität zu landwirtschaftlich Zwecken, aber auch für häusliche Gerätschaften. Diese stammten höchstwahrscheinlich aus dem Hause Elektra St. Louis.
Berlin
Weitere frühzeitig elektrifizierte Haushalte dürften auch in der (Villen-)Colonie Alsen, heute Berlin-Wannsee, zu finden gewesen sein, da dort 1891 durch die AEG ein Elektrizitätswerk errichtet wurde. Das Grundstück - gegenüber einer Villa der Familie Siemens - wurde von dem Gründer der Siedlung, dem Bankier Wilhelm Conrad, zur Verfügung gestellt und stand unmittelbar hinter der heutigen Wannseebrücke auf Seiten des grossen Sees. Dieser wurde seinerzeit mit elektrischen Booten der AEG befahren. Am Ende dieses Kapitels kehren wir hierhin zurück.
Der Ingenieur Emil Sinell, seit 1880 in Berlin als Techniker tätig, gründete 1892 eine Firma „elektrischer Anlagen für Beleuchtung und Arbeitsübertragung" und vertrat in Berlin Voigts 1896 gegründetes Unternehmen Prometheus. Sein privater Haushalt in der Lindenstr. 16-17 in Berlin-Kreuzberg war zugleich Ausstellung für die neuen Errungenschaften und dürfte somit der erste elektrifizierte in der Hauptstadt gewesen sein.
Sinell beschäftigte sich wissenschaftlich mit der Effizienz des elektrischen Stromes und hielt bereits 1892 in der Loge Royal York zur Freundschaft in Berlin einen Vortrag zum Heizen und Kochen mit Elektrizität. Sechs Jahre später lieferte er aktualisierte und erweiterte Informationen an gleicher Stelle unter dem Thema „Die Verwendung der Elektrizität zum Kochen, Braten, Heizen und dergleichen“. Seine grundlegenden Studien in puncto Wirtschaftlichkeit wurden viel beachtet und noch lange in wissenschaftlichen Betrachtungen als Argument für Elektrowärme angeführt. Die Gerätschaften wurden von ihm auf der Feuerschutzausstellung 1901 nebst denen von Hugo Helberger, der das System Prometheus voll und ganz unterstützte, in Berlin exponiert.
In Emil Sinells oben erwähnten kämpferischen Vortrag schliesst er mit den Worten: „Der menschliche Geist durchdringt das unendlich Kleine, das unendlich Grosse und das unendlich Ferne. Es liegt eben überall die Möglichkeit eines gewaltigen Fortschrittes und daher ist unbedingte Entwicklungs-Freiheit eine Forderung der menschlichen Natur!"
Ihm ist es wohl zuzuschreiben, dass man ab diesem Zeitpunkt den elektrischen Heiz- und Kochapparaten mehr als nur ein Lächeln schenkte, wie es zuvor in der Männerdomäne Technik üblich war.
Nicht unerwähnt lassen - es geht allerdings um einen Zeitsprung von 30 Jahren - möchte ich das „elektrische Haus" von Ernst Richard Ritter, der quasi in Sinells Fußstapfen trat (s. nächste Rubrik „HUKA des VDE"). Er baute 1926 auf dem Grundstück Lindenstr. 6, Berlin-Wannsee, ein Haus gespikt mit den neuesten Errungenschaften der angewandten Elektrizität. Zudem betrieb Ritter mit Arthur Scherbius eine elektrotechnische Fabrik unweit an der Königsstrasse und erlaubte seinem Kompagnon, auf seinem Privatboden ein Haus zu errichten, welches heute noch exsistiert. Es wurde vom gleichen Architekten Otto Streu geplant und ähnlich ausgestattet. Scherbius erbrachte die entscheidenden Entwicklungen für die Chiffriermaschine Enigma, jedoch war den beiden kein vertrieblicher Erfolg beschert. Durch einen schrecklichen Unfall kam Scherbius ums Leben, wodurch Ritter sich aus dem Geschäftsleben zurückzog.
München
In München, wie in vielen Städten, gab es langfristige Verträge mit Gasversorgern. Auch wenn schon zuvor einige Strassenzüge mittels Elektrizität beleuchtet wurden, zog die neue Kraft frühestens 1899 in die Haushalte.
Hugo Helberger aber hat in Thalkirchen mittels eigener Blockstation, die vermutlich in den Fabrikationsgebäuden stand, seine nahegelegene Villa nebst Labor mit elektrischer Energie versorgt. Ein noch erhaltener früher elektrischer Speisenaufzug in seinem Privathaus zeugt davon.
Laboranbau der Villa Helberger